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  • AutorenbildChristian Nübling

Vergänglichkeit der eigenen körperlichen Schönheit?

22.12.2021 neunundzwanzigster Blog Eintrag – Uhrzeit MEWZ 10:26 Uhr


Hallo zusammen,


eine chronische Krankheit lässt körperliche Spuren zurück, erst unscheinbar, verdeckt, verborgen tritt mit der Zeitdauer der Therapie und den medizinischen Eingriffen die Zeichen des Schmerzes und Leids zu Tage. Die Nebenwirkungen insbesondere der Chemotherapien und operative Eingriffe verändern das körperliche Aussehen und die wahrgenommene Schönheit. Unser Spiegelbild reflektiert mehr als nur körperliche Symmetrie und Formvollendung, es drückt über das Sichtbare hinaus unseren Seinszustand. Ein Lächeln oder eine böse Miene verraten, ob wir uns gefallen oder nicht.


„Der Mensch besieht sein Spiegelbild nicht im fließenden Wasser, sondern im stillen Wasser.“

Zhuāng Zhōu (365-290 v. Chr.)


Unser Spiegelbild offenbart einmal mehr die Eitelkeit, Schönheit und erweckt die Mystik und Magie zum Leben. Millionen von Selfies die täglich in den Smartphone Speichern hinterlegt werden, sind Zeitzeugen einer ewigen Suche nach uns selbst. Und wenn wir uns keine Antwort geben können wer wir sind, hoffen wir über Likes und Kommentare in Instagram die Worte zu bekommen nach denen wir uns so sehnen. Lieber Leser wie viele Selfies gibt es von Ihnen? Und warum?


„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Mit dieser Frage beginnt das Drama, denn ab diesem Zeitpunkt lernen wir den Spiegel zu nutzen, um uns zu vergleichen, zu bewerten und uns auch in Beziehung zu setzen zu anderen. Und wir tun dies regelmäßig, eine Welt ohne Spiegel nicht vorstellbar. Unsere Welt ist verkümmert in der Verfolgung eines kulturell geprägten mainstream Schönheitsideales, in der das Aussehen von Körper und Gesicht unser Wohl und Glück bestimmen. Der Erfolg in der Partnersuche und der Berufswelt liegt in dem äußeren Erscheinungsbild (Wissensmagazin „Scinexx“ (2014): Mehr Geld, mehr Sex, mehr Freunde. Schöne haben’s leichter). Jedes Investment in das äußere Erscheinungsbild verspricht soziale Anerkennung und Erfolg. Körpertuning eines austauschbaren, ersetzbaren Körpers wird zum Lebensprinzip erhoben, befeuert vom medialen Oberflächenphänomen, das nur dem Zeitgeist geschuldet ist, bei dem scheinbar nur noch die Attraktivität zählt.


Was ist schön? Haben Sie sich diese Frage auch schon einmal gestellt? auf Magazincovern, im Film und Fernsehen (z.B. GNTM), im www sehe ich nur glückliche aufgehübschte Menschen, die das abbilden, was gerade als trendy gilt. Trendy muss dabei nicht schön sein! die Suche nach idealen Maßen (Euklid, Da Vinci, Dürer) gehört schon lange der Vergangenheit an. Ich folge ganz Christian Morgenstern (1871-1914): „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet." So spielt der körperliche Zustand in der Bewertung von Schönheit keine Rolle, eher die Ausstrahlung, Aura, doch leider weicht die gesellschaftliche von Klein auf gelernte und gelebte Kulturnorm davon ab.



Der kranke zerbrechliche Körper erfährt in gesellschaftlicher Dimension Ekel, Ablehnung, Mitleid, manchmal auch Spott, Aversionen, denn er wird in Augenschein genommen und gescort, gerankt als:

  • „ein Körper, der an Schönheit verliert, in einer Welt, in der, am Maß der Jugendlichkeit gemessene Schönheit mit Erfolg, sozialer Anerkennung, Sinnlichkeit und Liebe gleichgesetzt wird.

  • ein Körper, der an Funktionstüchtigkeit verliert, in einer Welt, in der reibungsloses Funktionieren, Leistungsoptimierung, Mobilität, Beschleunigung, Flexibilität postuliert wird.

  • ein Körper, der uns mit Krankheit, Leiden und Tod konfrontiert, in einer Welt, in der das „Projekt des schönen Lebens“ zum Leitbild erhoben worden ist und Erleben, Genuss, Spaß, Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit, Freiheit im Mittelpunkt stehen.

  • ein Körper, der die Kontrolle über sich selbst verliert, in einer Welt, in der Disziplin, Selbstbeherrschung und Machbarkeit Pflicht ist.“ (Quelle: http://www.aesthetik-des-alters.de/web/html/verganglichkeit.html)

Aufgrund der Nähe zum Tod werden die sichtbaren Zeichen der Vergänglichkeit gesellschaftlich als häßlich bewertet, dem kranken Körper wird jede Attraktivität abgesprochen und der Verlust der Makellosigkeit wird als Verlust von Schönheit definiert. Unsere Gesellschaft kann so grausam zu den Schwachen, Andersartigen sein. Es ist Zeit für eine radikale Rückbesinnung auf unser Menschsein, eine Abkehr aufgezwungener Ideale (Unverfälschtheit), und ein neues Werteverständnis für unsere Einzigartigkeit und Unvollkommenheit. Kämpfen Sie auch für diese Vision oder verkriechen Sie sich im Mainstream?


Doch nichts repräsentiert das Ende des Lebens sichtbarer als der Verfall des Körpers, ob natürlich im Alterungsprozess oder durch eine Krankheit hervorgerufen. Das Spiegelbild wird zu einer beständigen Erinnerung des körperlichen Wandels, unabhängig aller Tuningmaßnahmen beraubt es uns alle von der Illusion eines endlosen Fortgangs des Lebens. Und trotzdem wird aus meiner Sicht uns die Schönheit ein Leben lang verfolgen als dunkler Schatten, Manipulator und Tyrann, denn


„Schönheit ist bedeutungslos, bis sie mit anderen geteilt wird.“

George Orwell (1903-1950)


An alle Krebsler: „never give up“!


Euer

Christian

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