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AutorenbildChristian Nübling

Urlaub mit chronischer Erkrankung

26.09.2022 sechsundvierzigster Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 10:12 Uhr


Hallo zusammen,


Urlaub ist für die körperliche und seelische Gesundheit so wichtig wie ein gutes Essen. Raus aus dem gewohnten Alltagstrott ist notwendig, um den Stress- und Sorgenpegel herunterzufahren und die eigene Lebensbatterie aufzuladen. Urlaub heißt also bewusst aus den alltäglichen liebgewonnenen Spurrillen auszubrechen.


Für uns selbstverständlich, doch hart erkämpft, wurde mit dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) vom 8. Januar 1963 in Deutschland ein Mindestanspruch von 24 Werktagen bezahltem Erholungsurlaub festgelegt. Vier Wochen, also im Normalfall 20 Arbeitstage, stehen jedem Berufstätigen zu. Mindestens 12 Arbeitstage am Stück, ohne Unterbrechung, stehen Ihnen liebe Leser gesetzlich zu.


"Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr; verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Soweit tarifliche, betriebliche oder sonstige Urlaubsregelungen für schwerbehinderte Menschen einen längeren Zusatzurlaub vorsehen, bleiben sie unberührt."


Viele Menschen verbinden den Urlaub mit Reisen. Reisen bedeutet sich wegzubewegen von dem, was vertraut erscheint, sich aus den eigenen Gewohnheiten hinaus zu wagen in das Unbekannte, die die eigene Existenz in einem neuen Licht erscheint und die eigene Realität mit den Vorstellungen und Wünschen verbindet. Reisen ist eine spezifische Form der Erfahrung: alle Sinne werden aktiviert und mit neuen Erfahrungen konfrontiert, herausgefordert und angereichert. Reisen ist für mich als chronisch Erkrankter ein Geschenk, eine Sinnesbereicherung und eine Auszeit aus der Tristesse eines von Arztterminen und Therapietagen geprägten Alltages, bei denen Medikamente die wichtigste Energiequelle zu sein scheinen.



„Reisen ist etwas Anderes als Denkerfahrung, es ist eine genuin körperliche Erfahrung, eine Form der Wahrnehmung, in der alle Sinne involviert sind.“ (Quelle: Anna Monika (Mona) Singer, ÖZG 23, 2012) Körperliche Bewegung und geistige Beweglichkeit werden mit dem Reisen auf die einfachste Weise kombiniert und tragen damit für ein gesundes Leben bei. Wir erholen uns an einem Tag im Urlaub besser, als an einem freien Tag zu Hause, belegt eine aktuelle Studie der Universität Tampere (https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09669582.2016.1229323 ). Reisen mit chronischer Erkrankung hat nichts zu tun mit guten Insta-Fotos schießen wollen (Selbstinszenierung für die Fan Gemeinde), oder stolz auf 100 Länderstempel in seinem Reisepass zu verweisen, in exotischen Shopping Malls die Kreditkarte als Fashionistas zu nutzen und coolen Lifestyle unter Palmen zu erleben, weil es billiger ist als zu Hause! Es geht auch nicht um Sehnsüchte zu erfüllen und nachzujagen, nein, reisen heißt dem Leid und Schmerz einen Augenblick der Schönheit, Ruhe, Liebe … entgegen zu setzen. Regeneration! Als palliativer Krebserkrankter glaube ich nicht an romantische Mythen, auch sammle oder kaufe ich nicht auf einer Bucket Liste Erlebnisse (z.B. whale watching) und Reiseziele. Ich reise auch nicht als Flucht einer Unzufriedenheit. Für mich zählt Qualität im Hier und Jetzt unter Beachtung meiner körperlichen Möglichkeiten. Körpernähe zum Partner, gemeinsame Bewegung zelebrieren (Biken und Schwimmen) und die „Stille“ der Natur spüren (Meer und Berge), das sind die Elemente der Erholung von Körper, Geist und Seele.


„Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“

Christian Friedrich Hebbel (1813-1863)


Wer mit einer chronischen Erkrankung reisen will, sollte zunächst ehrlich zu sich selbst sein und den momentanen Gesundheitszustand realistisch einschätzen. Reisen heißt bewusster Verzicht auf Arzttermine. Die bestehende Krankheit unterliegt während der Reisezeit keiner Kontrolle.


Vor Antritt einer Urlaubsreise ist der Arztbesuch (Hausarzt und Onkologe) obligatorisch, erstens ob Ihr Allgemeinzustand eine Reise zulässt und zweitens ob Sie auf bestimmte Dinge achten müssen, z.B. eine Anpassung der Medikamenteneinnahme bei Zeitverschiebung, das Meiden klimatischer anspruchsvoller Regionen oder extremer Höhenlagen und das Abklären der Notwendigkeit spezieller Atteste und Bescheinigungen für Fluggesellschaften und Grenzbehörden (Nicht EU-Länder).


Für eine gute Vorbereitung auf den Urlaub empfehle ich:


  • Informieren Sie sich über die medizinische Versorgung am Urlaubsort und notieren Sie sich die jeweiligen Telefonnummern und Adressen der ansässigen Ärzte und Krankenhäuser.

  • Sind bei Ihnen Lymphknoten entfernt worden, vermeiden Sie erhöhte UV-Strahlung, die ein Lymphödem entwickeln können. Bestrahlte Haut darf nicht der Sonne ausgesetzt werden.

Nicht vergessen das Dokumentenmanagement:


  • Personalausweis/Reisepass

  • Europäischer Notfall-Ausweis (https://www.krankenkasseninfo.de/ratgeber/00367/notfallausweis-lebensretter-im-taschenformat.html )

  • Adresse des Hausarztes/Onkologen/ behandelnden Arztes

  • Aktueller Medikamentenplan (Reiseapotheke!)

  • USB-Stick mit aktuellem Befund, CT/ MRT, Blutbild, Arztbriefe

  • Übersicht Medikamentenunverträglichkeiten beziehungsweise alles, was ein Arzt im Notfall wissen sollte (z.B. Port)

  • Patientenverfügung

  • Organspendeausweis, Schwerbehindertenausweis

  • Telefonnummern von Personen, die im Notfall informiert werden sollen

„Das Leben ist eine Reise. Nimm nicht zu viel Gepäck mit.“

Billy Idol, William Michael Albert Broad (1955*)



Ich bin dankbar für das zu sein, was ich habe und was ich aktiv erleben darf. „Würden wir immer so durch den Alltag gehen, wie wir das normalerweise nur auf Reisen tun, hätten wir auch ohne Ortswechsel andere Begegnungen." (Reiseautorin Maria Kapeller, 2022, DerStandard) Ein Satz den ich teile und ergänze: wir würden mit chronischen Erkrankten mitfühlender umgehen.


An alle Krebsler: „never give up“!


Euer

Christian

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