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  • AutorenbildChristian Nübling

Soziale Einsamkeit

30.08.2021 sechster Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 11:15 Uhr


Hallo zusammen,


eine Krebsdiagnose verändert das Leben um 360 Grad und das häufig in allen Lebensbereichen. In den seltensten Fällen kann und wird das Leben nach Diagnose so weitergeführt wie zuvor. Die ursprüngliche Lebensplanung wird in Sekundenschnelle ausgelöscht. Soziale Probleme wie Einsamkeit, Isolation (gesellschaftliche Tabuisierung von Krebs), soziale Ausgrenzung (Schwerbehinderung, Stigmatisierung), finanzielle Belastungen (Wegfall Lohn/ Gehalt, Krankentagegeld, vorzeitige Erwerbsminderungsrente, Armut) und Probleme am Arbeitsplatz (Arbeitsplatzwechsel, Mobbing, Arbeitslosigkeit) treten auf. Ich spreche aus Erfahrung, seit Dezember 2020 100% schwerbehindert, Bezieher von Krankentagegeld (ca. 50% geringeres monatliches Nettoeinkommen), unter Corona Bedingungen erschwerte Mobilität und eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten habe ich die Überholspur einer linearen beruflichen Entwicklung zugunsten einer achtsamen werteorientierten Lebenskunst verlassen.





Ich empfinde die soziale Einsamkeit und Isolation als belastender Faktor im Rahmen der Krebstherapie. In der Regel kann und will nur ein kleiner Teil des eigenen Umfeldes die schwere Erkrankung begleiten. Die Folge des Kontaktabbruches ist die Einsamkeit. „Einsamkeit ist ein Zustand, der nie selbst gewählt ist. Das Gefühl von Einsamkeit ist stets negativ und wird durch ein emotionales Defizit ausgelöst. Dieses Defizit wirkt sich wie jedes andere Defizit aus, vergleichbar mit Schmerz oder Hunger. In der Fachliteratur wird Einsamkeit daher auch oft als sozialer Schmerz umschrieben.“ (Quelle: AOK Gesundheitsmagazin, Dr. Marcus Mund, 4.01.2021). Eine schöne verständliche Definition, die auch meine Situation auf den Punkt beschreibt. Ohne meine liebevolle Frau würde ich diese schwierige Lebenssituation nicht bewältigen können. Eine funktionierende Partnerschaft ist durch Nichts zu ersetzen! gerade als Krebspatient macht Gemeinschaft glücklich, tiefgründige Begegnungen stärken den Rückhalt und berühren die geschundene Seele.


Der Wegfall von Bekannten und das Auflösen von Freundschaften während der Krebserkrankung ist traurig, aber auch notwendig im Sinne einer Bereinigung toxischer Kräfte und eines Neuanfangs (Selektion). Zu beobachten ist dies nach anfänglicher Unterstützung durch Freunde kann es zu einer schleichenden Entfremdung kommen. Die Freunde und Bekannten ziehen sich zurück, um den „Betroffenen“ nicht zu belasten. „Das Umfeld tut aus Hilflosigkeit (Unsicherheit, Angst, Ekel/ Abscheu) das Falsche.” Krankheit und sozialer Abstieg (finanzielle Situation, Status) erhöhen nicht die Attraktivität und lösen keine Begeisterungsstürme aus. Sichtbare Nebenwirkungen verändern das eigene Körperbild z.B. Haarausfall, Bewegungseinschränkungen durch Polyneuropathie und verstärken das kranke, verletzliche, unvollkommene, nicht perfekte Erscheinungsbild. Die einsetzende Zurückweisung und Ausgrenzung führen zum Wegfall gemeinsamer Aktivitäten. Ein Phänomen das ich selbst beobachten konnte. Corona verstärkt die Tendenzen gehören doch die Krebspatienten zur sogenannten „Risikogruppe“, ein Begriff, der Ausgrenzung geradezu provoziert. Anschluss und Dazugehörigkeit zum Überwinden der unvermeidlichen Widrigkeiten des Alltags sind aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein guter Lebensqualität. Virtuelle Beziehungen können das nicht ersetzen.


Für den Ausweg aus der Einsamkeit empfehle ich:

  • Sprechen Sie über Ihren Zustand und den Einschränkungen mit Bekannten und Freunden – verleugnen Sie nicht Ihre Krankheit und suggerieren der Außenwelt eine unbeschwerte, heile Welt.

  • Nehmen Sie Kontakt zu „Gleichgesinnten“ z.B. in der Ambulanten Therapie (gegenseitiges Verstehen) auf oder Selbsthilfegruppen.

  • Werden Sie ehrenamtlich aktiv z.B. in Ihrer Gemeinde – verknüpfen Sie das mit Ihrem Hobby (Laufgruppe, Krebsgruppe, …).

  • Selektieren Sie Ihre bestehenden Kontakte: pflegen Sie Kontakte, aber haben Sie auch den Mut sich von toxischen Kräften aus Ihrem Bekannten-, Freundes- und Familienkreis zu trennen („Energieräuber“, „Ausnutzer“, „Scheinheilige“).

  • Korrigieren Sie Ihre Erwartungshaltungen: nicht aus jeder Bekanntschaft entwickelt sich eine Freundschaft.

  • Netzwerken Sie mutig „Hallo Nachbar“ oder in Ihrem Hobby z.B. „Yoga-Gruppe“.

Ich bin mir bewusst, die Angst (tödliche Bedrohung) gehört zum Leben eines krebskranken Menschen dazu. Wut, Trauer und ein Gefühl der Hilflosigkeit sind häufig enge Begleiter und nicht jeder Mensch ist in der Lage einen Krebskranken zu begleiten.


„Freundschaft ist eine Tür zwischen zwei Menschen. Sie kann manchmal knarren,

sie kann klemmen, aber sie ist nie verschlossen.“

Balthasar Gracián y Morales, 1647


An alle Krebskranken: „never give up“!


Euer

Christian

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