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AutorenbildChristian Nübling

Partnerschaft im Krisenmodus?

18.01.2022 einunddreißigster Blog Eintrag – Uhrzeit MEWZ 11:12 Uhr


Hallo zusammen,


zuerst zwei Wochen, dann fünf, aus Wochen werden Monate: 24 Stunden/ 7 Tage rund um die Uhr mit dem Partner auf Tuchfühlung. Meine chronische Krebserkrankung seit 16.11.2020 hinterlässt Spuren auf unseren gemeinsamen Lebensweg: keine Kollegen bei der Arbeit, keine Freunde im Café oder Restaurant treffen, keine Grillpartys, kein unbeschwerter Urlaub ohne Pandemiebeschränkungen, kein Friseurtermin bei Plausch und Espresso. Die Pandemie und deren permanent sich veränderten Regelungen und Verordnungen verstärken die Einengung des täglichen Radius. Es kann anstrengend werden, wenn man einander nicht mehr ausweichen kann. Dazu kommen die Existenzängste, die Bedrohung der sozialen Identität und Sicherheit, oder die Herausforderung, Alltagsleben und Therapie parallel zu stemmen.


Nach Wikipedia ist „eine Krise im Allgemeinen ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und der eher kürzer als länger andauert.“ ("Krisis" wird als Höhepunkt oder Wendepunkt bei einer schweren Krankheit verstanden) Der Krisenmodus ist in leisen Schritten zum Normalzustand degeneriert. Blutwerte bestimmen das Aktivitätsniveau, der Kontrollumfang steigt mit den Nebenwirkungen an, das Immunsystem instabil und brüchig. Ständige Drohkulisse: eine Infektion.


Das „Aufeinander-Hocken“ auf teilweise engstem Raum kann schnell zu einer echten Belastungsprobe für die Partnerschaft werden, auch für Paare, die schon lange zusammenleben. Die individuellen Bedürfnisse nach Nähe und Distanz sowie die Regeln für das Miteinander zu Hause müssen neu ausgehandelt werden. Liebe Leser, wie geht es Ihnen? Wie erleben Sie Ihre Partnerschaft zwischen Pandemie, Normalität und Zusatzbelastungen?


Die räumliche Enge mit keinen oder geringen Rückzugsmöglichkeiten und der psychische Stress verengen die Wahrnehmung des Gegenübers. Neben Kommunikationsstörungen können bestimmte Verhaltensweisen und Eigenarten, die vorher außerhalb der Wahrnehmung lagen, als störend oder gar als „verletzend“ erlebt werden. Küche und Badezimmer sind prädestinierende emotionale Aggressionsorte missverstandener Handlungen.


Im Hier und Jetzt eröffnen sich allerdings immer wieder Gelegenheiten, endlich Platz für zwei gleichberechtigte Sichtweisen zu schaffen. Partnerschaft bedeutet nicht gelebte Gleichheit (= Unfreiheit) sondern bietet gerade Raum für Widerspruch auf Augenhöhe. Ich erkenne und liebe die Bedeutung unterschiedlicher Meinungen. Mein Gedankenhorizont erweitert sich durch neue Perspektiven. Meine Frau fordert mich, und das tut gut. An ihr schult sich mein Denken.


"Will ich meinen Partner in seiner Einmaligkeit und Unterschiedlichkeit kennenlernen,

oder will ich, dass wir ewig gleich sind?"


Bewusst oder unbewusst entstehen in existenziellen Notlagen, wie eine Krebserkrankung, Sinnfragen, über das Sterben, den Tod, über das bisherige gemeinsame Leben. Warum sich nicht darüber austauschen, an einem gemütlichen Abend oder bei einem Spaziergang? Gehen Sie zusammen Fragen nach wie: Was ist uns wirklich wichtig? Wollen wir wie bisher weiterleben? Was brauchen wir wirklich und auf was können wir verzichten?


Nicht immer ist eine Lebenskrise eine unüberbrückbare ausweglose Situation: Es stehen auch immer sichtbare oder verborgene Ressourcen und Pfade zur Verfügung, jeder Tag beginnt mit neuen Spielkarten, die bestehenden Lebensumstände neu anzupassen. Jede noch so kleine Veränderung schärft Ihre Personality und Ihren Lebensfluss aufgrund anderer bzw. modifizierter Problemlösungs- und Bewältigungsmechanismen. Sie erhalten Ihren Feinschliff, die Veredelung Menschsein. Mit der persönlichen Masterprüfung oder dem Ritterschlag: „Zur Kunst des Lebens gehört die Kunst des Liebens.“ (Quelle: Ferdinand Fellmann, 2009, Philosophie der Lebenskunst zur Einführung)


"Liebe ist die Entrückung, die wir für Menschen und Dinge verspüren, die in uns die Hoffnung auf ein sicheres Fundament für unser Leben wecken."

Simon May


Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind wichtiger Bestandteil eines glücklichen und sinnstiftenden Lebens. Das wichtigste verbindende Gefühl zwischen Menschen ist die Liebe in ihren unterschiedlichsten Arten und Facetten: Die Partner-, die familiäre, die Freundes- oder ganz generell die christliche Nächstenliebe. „Sei nicht rachsüchtig noch trag deinem Stammesgenossen etwas nach, sondern liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich bin der Herr.“ (Levitikus 19,18) Inspirierende aktivierende Seelenmomente, die wir gemeinsam genießen, mit Menschen, die mit uns fühlen und empfinden, sind die schönsten Geschenke des Lebens. Wichtige Elemente dabei sind auch Geben, Helfen, Fürsorge, Verantwortungsgefühl und Achtung vor dem anderen. Doch Basis für das echte, tiefe Gefühl inniger Zuneigung und tiefer Verbundenheit zu anderen ist die Liebe zu uns selbst.


Barmherziger mitmenschlicher Kontakt fördert die Bewältigung einer Krise wesentlich: wir brauchen jetzt und künftig Menschen um uns, die sich um uns kümmern und uns verbindlich Halt bieten … eine große zeitlose, generationenübergreifende, gesellschaftliche Herausforderung!



An alle Krebsler: „never give up“!


Euer

Christian

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