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  • AutorenbildChristian Nübling

Mein neuer Job: Krebspatient

25.09.2021 sechzehnter Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 15:35 Uhr


Hallo zusammen,


nach Wikipedia ist ein Beruf „die systematisch erlernte, spezialisierte, meistens mit einem Qualifikationsnachweis versehene, dauerhaft und gegen Entgelt ausgeübte Betätigung eines Menschen. Oft liegen für diese Betätigung auch eine besondere Eignung und Neigung vor.“


Philosophisch ist jede praktische Handlung, die in die Außenwelt gerichtet ist Arbeit. Der Nutzenwert steht dabei im Vordergrund (Leistungsgesellschaft: ökonomischer Wert).


Wenn ich die zwei Gedanken zusammenbringe, verschmelze und sie übertrage auf meine aktuelle Situation, so muss ich konstatieren, dass mit Krebsdiagnose unter Berücksichtigung meiner aktuellen Berufsunfähigkeit ich einen neuen Job ausübe: Krebspatient! Das ist ein Fulltime-Job. Koordination und Durchführung Arztbesuche (Hausarzt, Onkologe, Humangenetiker, Radiologe, Internist, Neurologe, Physiotherapeut, Psychiater, Heilpraktiker, Komplementärer Onkologe, …), Ernährungsberatung, Apotheken, gefolgt von Ergänzungsmaßnahmen (z.B. Yoga, Laufgruppe, Meditation, Krankengymnastik, …) füllen nicht nur den Tages-, Wochenkalender sondern binden erhebliche Tageszeit. Betrachtet man zusätzlich noch die alltäglichen Handlungen, die zu einer Verbesserung des Allgemeinzustandes betragen (Einkauf auf Märkten, Bio-Bauern, Nahrungsergänzungsmitteln, …) so wird mir bewusst, warum die Tage so schnell vergehen. Ich kümmere mich um meinen Körper, Geist und Seele; dies ist meine aktuell zugewiesene Funktion in der Gesellschaft. Dass ich mich dabei fühle wie auf dem Abstellgleis ist eher Ausdruck einer tabuisierenden Gesellschaft, die Leid, Schmerzen und Tod ausblendet wann immer möglich. Krebs schafft für die Pharmaindustrie Werte, der Krebskranke wird eher als gesellschaftliche Belastung eines fehlfinanzierten Gesundheitssystems wahrgenommen. Ich lebe in einem sozialen Umfeld konkurrenzorientierter Einzelwesen, mit mangelhafter Empathiefähigkeit ausgestattet. So wird mein Fulltime-Job weder gewürdigt noch wertgeschätzt. Für vollkommen fremde Menschen besitze ich keinen Wert, denn wenn es mir nach einer Chemotherapie schlecht geht, beeinträchtigt das deren soziale Situation nicht.


Eine besondere Eignung und Neigung erhalte ich gewollt oder ungewollt durch die intensive Auseinandersetzung mit meinem Leben und der Krankheit. Neben den allwissenden Schulmedizinern werde ich systematisch zum Experten für meine Krankheit ausgebildet. Dauerhafte Beschäftigung gem. oben genannter Definition erhielt ich automatisch mit der Krebsdiagnose (Metastasen) und der Wahl der Therapieform (palliativ). Es fehlt nur das Kriterium der Bezahlung, oder eigentlich nicht, denn mit dem Krankengeld der Krankenkasse wird mein Lebenserhalt mit einer monatlichen Zahlung vergütet. Der Wert meiner täglichen Arbeit drückt sich im körperlichen und seelischen Allgemein- und Gesundheitszustand aus. Ich arbeite, besser übe mich in den fünf Grundsätzen: gesunde Ernährung als Flexitarier, Schadstoffe vermeiden, tägliche Bewegung oder Sport, ausreichende Entspannung (kein Stress) und positives Denken (Lebenskraft und Mut, Liebe).



Mein Job ist kein „Zuckerschlecken“ und liefert auch keinen Spaßbeitrag, von Freiwilligkeit ganz zu Schweigen. Er lässt alle Emotionen frei von der Zeit des Hoffens und des Bangens, Zeiten mit Anflügen von Panik, Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühlen. Der Job erfordert täglich die Bewahrung eines kühlen Kopfes. Eine echte Herausforderung kann ich nur sagen! Gutes Leben als Krebskranker für die mögliche längerfristige Erhaltung und Förderung der individuellen Gesundheit, das heißt die Erhaltung des physischen, sozialen und mentalen Wohlbefindens zu gewährleisten, bedeutet als Betroffener zu jedem Tag unabhängig des tatsächlichen Zustandes (Nebenwirkungen der giftigen und zerstörerischen Chemotherapie) das Beste zu geben, auch wenn der Körper und Geist nicht willig sind (z.B. Syndrom Fatigue), der Lebensradius verkürzt ist und die Sorgestrukturen teilweise größere Entfernungen aufweisen. Mit dem Standort Würzburg (Radius 20 km) ist das Glück auf meiner Seite. Ich greife auf eine hervorragende „Krebs-Infrastruktur“ über das Comprehensive Cancer Center Mainfranken zurück. Diesen „Luxus“ haben viele Krebskranke in Deutschland nicht. Meinen zeitlich befristeten Job kann ich bei besten externen Voraussetzungen erfüllen, unterstützt von meiner Frau und der Familie. Letztendlich hängt mein Glück von dem ab, was in meinem Inneren passiert (Aktivierung meiner Selbstheilungskräfte), und nicht von äußeren Faktoren.


„Wahrer Beruf für den Menschen ist nur, zu sich selbst zu kommen.“

Hermann Hesse


Oder wie beschreibt es Anselm Grün in Gesund mit Leib und Seele (Herder, 2013): „Gott erledigt nicht die Arbeit, die wir selber tun sollten. In der Krankheit ist es unsere Aufgabe, sie zu befragen, worauf sie uns hinweisen und wo sie unserem Leben eine andere Richtung geben möchte. Heilung in der Begegnung mit Jesus bedeutet: Wir müssen wir uns selbst in unserer Wahrheit – und dazu gehört auch die Krankheit – begegnen. Nur so kann Verwandlung und Heilung geschehen.“


An alle Krebskranken: „never give up“!


Euer

Christian

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