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  • AutorenbildChristian Nübling

Mann und Krebs

29.09.2021 siebzehnter Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 15:55 Uhr


Hallo zusammen,


Mann und Krebs ist das überhaupt möglich? Ein Blick in die gesammelten Zitate rund um die gesellschaftliche Rolle und Erwartungen des Mannes und die Männlichkeit hilft auf den ersten Blick auch nicht bei der Beantwortung der Frage wie z.B.


„Man kann nicht immer ein Held sein, aber man kann immer ein Mann sein.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)


oder der Versuch von Thomas Carlyle den Mut des Mannes hervorzuheben:


„Was wir wünschen und loben, ist nicht der Mut, würdig zu sterben,

sondern der Mut, mannhaft zu leben.“

Thomas Carlyle (1795-1881)


Zwei klassische Männlichkeitsbilder erscheinen in meinem Geist, wie sie gemeinhin noch immer als verbindlich für das erfolgreiche immer aufwärtsgehende Männerleben gelten: der Erwerbs-Mann (primäre Einkommensquelle) und der Macht-Mann (Fels in der Brandung, Entscheider).


Männer in meiner Wahrnehmung verstehen sich heute mehr denn je als partnerschaftliche, auf Augenhöhe agierende aktive Väter. Diese Männer sind dabei, klassische männliche Karriereverläufe (z.B. Elternzeit) aufzubrechen, und entlasten die einseitige tradierte Rollenverteilung Erziehung der Frauen. Niederlagen müssen nicht mehr als Siege verkauft werden, oder durch Ausschmückungen umgedeutet und Tränen nicht unbedingt unterdrückt werden. Männliche und weibliche Weisheiten, Interpretationen stehen sich nicht mehr ganz so unversöhnlich gegenüber wie vor 20 Jahren.


Auf zu neuen Horizonten und Erfahrungen für das männliche Geschlecht! der einseitige Blick zum Horizont weitet sich, aus dem erfolgsorientierten Pragmatiker wird der vorausschauende Universal-Problemlöser („Frauenversteher“), der aufhört, nur in den klischeebehafteten Kategorien von Sieg und Niederlage (oder Geld und Macht, Titel und Auto, Bier und Fußballverein) zu denken oder ganz dem Sparkassen-Werbespot „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ zu entsprechen. Der Materialismus („Jäger und Sammler“) wird durch z.B. Freizeit und Familie ersetzt.


Männer sind nicht mehr bereit, Leben für Arbeit zu opfern. Männer entdecken und kultivieren ihr feminines Potenzial, auch wenn das Urteil der Frau auf den ersten Blick dann heißt: „er war stets bemüht.“ Sich in andere hineinzuversetzen ist kein Zeichen von Schwäche, geschauspielter Härte a la Bruce Willis in „Stirb langsam“ kein Garant für einen Sieg, so sehe ich das mit Abstand zur Businesswelt und viel verbrachter Zeit für Reflektion.


Männer haben es heute nicht wirklich leicht. So suchen die Männer im Scherbenhaufen des alten Rollenbildes (bis in die 80er Jahre), dem Wegfall vieler reiner Männerwelten, noch immer nach ihrem Selbstverständnis. Selbstbeherrschung wurde idealisiert und mit dem Mann assoziiert. Ein Mann darf kulturell nicht wanken, weinen und emotional instabil, geradezu ängstlich sein. Die Folgen sind aus meiner Sicht in einer gering ausgeprägten Kommunikation („ich habe keine Probleme“), einer übertriebenen außenorientierten Stärke (z.B. Vermeidung von Arztbesuchen – „Indianer kennen keinen Schmerz“) und die Unfähigkeit vieler Männer, offen über ihre Gefühle und Probleme zu reden. Nicht gerade gesundheitsfördernd und stressvermeidend, oder? der Unverletzbarkeitswahn des Mannes schon fast berühmt. Bestes Beispiel ist die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsprogrammen: Nur 40 Prozent der berechtigten Männer gehen regelmäßig zur Krebsvorsorge – von den Frauen 67 Prozent (Zahlen des RKI aus dem Jahr 2015). Angst vor der Arbeitslosigkeit, Angst vor dem Bedeutungsverlust, Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg und das kombiniert mit einer Krebserkrankung bewirkt bei Männern das Zurückziehen, Einigeln und Sprachlosigkeit in der Opferrolle.



Mann und Krebs eine für mich schwierige Kombination. Einerseits die bisher erfolgreiche Rolle der vergangenen Jahre weiter erfüllen (Ehemann, Vater, Einkommensquelle, Koch, Gärtner, Mountainbiker, …) und andererseits den Neuanfang in unbekannter Rolle zu wagen (Patient, Überlebenskünstler, Schriftsteller/ Blogger, Müßiggänger, Spaziergänger). Die Auseinandersetzung mit der Krankheit sprengt die Gefühlswelt meiner Männlichkeit und zerstört die bisherigen Weltbilder. Das Leben im Hier und Jetzt erfordert die Aufarbeitung und Vergebung mit der Vergangenheit, die Akzeptanz zu den aktuellen beschränkten Fähigkeiten und das Einfordern von Hilfe und Unterstützung. Letzter Punkt ist für mich als Mann nicht leicht, konnte ich in der Vergangenheit für mich und meiner Frau unabhängig, frei gut sorgen. Eine Krebserkrankung verändert das Leben nachhaltig, das konnte ich mir vor Diagnose nicht vorstellen, wurde mir aber die letzten Monate schneller bewusst als gedacht, vor allem während den kraftraubenden Chemozyklen. Wie sich meine Rolle als Mann („Alpha-Softie“) noch verändern wird, bleibt offen und spannend.


„Ich liebe Männer mit Zukunft und Frauen mit Vergangenheit.“

Oscar Wilde (1854-1900)


An alle Krebskranken: „never give up“!


Euer

Christian

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