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AutorenbildChristian Nübling

Krebs kann ich mir nicht leisten

04.09.2021 neunter Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 11:50 Uhr


Hallo zusammen,


„Kein Schmerz ist größer, als sich der Zeit des Glückes zu erinnern, wenn man in Elend ist.“

Dante Alighieri, Göttlichen Komödie, 1321


Außenstehende können sich kaum vorstellen, wie schnell Krebspatienten in einen finanziellen Engpass geraten. Je höher der Verdienst/ Gehalt/ Einkommen vor Krebsdiagnose war, desto tiefer ist der gefühlte Absturz in ein reduziertes minimalistisches Leben. Buddhisten, Mönche wären begeistert, das Reduzieren von Besitz und Gütern, sind heute zum Lifestyle avanciert. Aber über die bewusste Entscheidung eines Minimalismus, der aus meiner Sicht im abgesicherten Modus erfolgt, hat die plötzliche unerwartete Krebsdiagnose keine Entscheidungsfreiheit. Man wird nicht freiwillig Krebskrank.


Wenn in der Folge neben dem schrumpfenden Geldbeutel noch zusätzliche Einschnitte nötig werden, kann das einen Menschen doppelt beschämen. Schuldzuweisungen und Depressionen sind keine Seltenheit.


Zur Klarstellung: das Krankengeld beträgt 70% des beitragspflichtigen regelmäßigen Bruttoarbeitsentgelts, jedoch nicht mehr als 90% des Nettoarbeitsentgelts. Der Krankengeldanspruch besteht für dieselbe Krankheit längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Blockfrist). Die Anspruchsdauer beginnt mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit, wobei in die 78 Wochen die Gehaltsfortzahlung des Arbeitgebers (6 Wochen) hineingerechnet werden. Die eventuell nachfolgende gesetzliche Erwerbsminderungsrente ist in der Regel nur ein „Teilkaskoschutz“ und deckt bei weitem nicht alle entstehenden Kosten/Ausgaben des bisherigen Lebensstils.



Um es Ihnen liebe Leser plastisch zu verdeutlichen: mein monatliches Einkommen aus Krankengeld entspricht netto ca. 55% meines bisherigen Nettogehaltes! 45% weniger Geld im Monat. Stellen Sie sich das persönlich vor. Bei einer Erwerbsminderungsrente sinkt das monatliche Nettoeinkommen auf ca. 30% des ursprünglichen Nettogehaltes. Jeder erdenkliche Spielraum ist verschwunden, aufgelöst, zerronnen. Schon die Begleichung der Miete inklusive Nebenkosten (abhängig von Region/ Stadt) kann zur Herausforderung werden.


Krebserkrankung führt zu tiefgreifenden Einschnitten in den Alltag. Nicht selten sind Patienten im späteren Krankheitsverlauf gezwungen, ihren Job aufzugeben und in Frührente zu gehen oder ihre Arbeitszeit zu reduzieren, weil sie nicht mehr so leistungsfähig sind wie vor ihrer Erkrankung. Alleinverdiener ev. mit Familie trifft es um ein Vielfaches stärker, als wenn weitere Einkommens-Leister/-Quellen zur Verfügung stehen.


Fakt ist auch vielen Krebspatienten und ihren direkten Angehörigen fehlt die Kraft, sich mit der erforderlichen Bürokratie (Zuständigkeiten) und den ausufernden Formularen und Nachweisen zu beschäftigen. Ein weiterer Faktor, der die finanzielle Notsituation nicht erleichtert, sondern erschwert. Hilfe anzunehmen aus Scham, Zurückhaltung, Verwundbarkeit, Ehrverlust, innerer Würde fällt nicht leicht (Bittstellung). Schwäche wird in unserer Gesellschaft bestraft mit Verachtung und Häme.


Ohne finanzielle Unterstützung durch Dritte droht aus meiner Erfahrung die Privatinsolvenz bei langfristigem Krankheitsverlauf und Wegfall des Kerneinkommens. Ganz zu schweigen, dass man sozial abgehängt wird, ausgemustert aus der Leistungsgesellschaft und abgestellt auf einem alten rostigen verwachsenen Gleisbett irgendwo im Niemandsland.


Für das schwierige finanzielle Überleben während der Krebserkrankung empfehle ich:

  • Frühzeitige Gespräch mit der Hausbank bevor Dispo überschritten und oder bestehende Darlehensverpflichtungen nicht eingehalten werden können (laufende Baufinanzierung) – Stichwort: Tilgungsaussetzung, Tilgungsstreckung.

  • Informieren Sie Ihre Krankenkasse bzgl. längerfristigem Krankheitsverlauf (Bezug Krankengeld) und Versicherungsgesellschaft bei Berufsunfähigkeit.

  • Reduzieren Sie Ihre Fixkosten um nicht lebensnotwendige Aufwendungen, z.B. Netflix, Amazon, Versicherungen, Spardaueraufträge, Mitgliedsbeiträge, Abo`s .

  • Verzichten Sie auf zweites Kfz, verkaufen Sie Ihre teuren Luxusgüter/ Statussymbole (Boot, Motorrad und Privatsammlungen aller Art - pathologisches Horten), die machen Sie nicht gesund und glücklicher. Besitztümer stiften nicht Ihre Identität (Marketingtrick).

  • Passen Sie Ihre laufenden Unterhaltsleistungen (bei erfolgter Scheidung) an.

  • Kontrollieren Sie Ihr Ausgabeverhalten wöchentlich und monatlich – Haushaltsbuch führen. Sparen Sie nicht an der Ernährung (= Medizin für den Körper)!

  • Trauen Sie sich um Hilfe: Familienkreis (Privatdarlehen – Erbschaft: ev. Pflichtteilsverzicht vereinbaren durch Zahlung einer Abfindung oder den Pflichtteil zu Lebzeiten durch Schenkung erlangen).

  • Beantragen Sie einen Schwerbeschädigtenausweis: Nutzung steuerlicher Freibetrag. Arztrechnungen können Sie in der Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung geltend machen, wenn Sie medizinisch notwendig sind.

  • Lassen Sie von Ihrem Hausarzt ein ärztliches Attest für alternative Heilverfahren und Therapien ausstellen (Anerkennung Aufwendungen durch das Finanzamt).

  • Beitritt in die VdK (ergänzt Rechtschutz): Unterstützung im Falle der Erwerbsminderungsrente und beim Übergang des Sozialversicherungsträgers.

  • Achtung: Es gilt der Grundsatz „Rehabilitation vor Rente“.

  • Informieren Sie sich über einmalige finanzielle Zuwendungen bei gemeinnützigen Vereinen und Trägern in Notsituation (z.B. Härtefonds der Deutschen Krebshilfe e. V.).

  • Nehmen Sie die Schuldnerberatung in Anspruch. Gläubiger können bis zu 30 Jahre lang bei Ihnen pfänden. Privatinsolvenz schützt vor Kündigung durch den Vermieter.

„Nichts beschleunigt die Genesung so sehr wie regelmäßige Arztrechnungen.“

Alec Guinness (Star Wars Obi Wan Kenobi)


An alle Krebskranken: „never give up“!


Euer

Christian

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