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AutorenbildChristian Nübling

Diagnose Krebs und Jetzt?

18.10.2021 einundzwanzigster Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 12:39 Uhr


Hallo zusammen,


mit dem Thema „Diagnose Krebs und Jetzt“ möchte ich nicht die Vielzahl bestehender Nachschlagewerke, Broschüren und Checklisten ergänzen (z.B. https://www.yescon.org/app/uploads/2021/09/EGuide-solide-Tumore-Diagnose-Krebs-und-jetzt.pdf) sondern die Aufmerksamkeit auf das eigene Leben lenken. Für die eigene Lebensplanung muss vorangestellt werden, dass eine Krebsdiagnose vorerst nur wenig über den möglichen Verlauf der Krankheit, die Heilungschancen und über die Zukunft der betroffenen Person aussagt. Dennoch ziehen düstere Wolken am Horizont auf. Mit dem Kopfkino rücken zu diesem Zeitpunkt unweigerlich auch das Sterben und der Tod auf, ungeachtet dessen, dass heute viele Patientinnen und Patienten über Jahre gut mit der Krankheit leben können und viele auch geheilt werden.


Nach der Krebsdiagnose, dem Aufstellen des individuellen Standardbehandlungsplan nach Krebsleitlinien, Kommunikation mit Krebspatient und Angehörigen (unter Coronabedingungen erschwert oder gar nicht) startet der oft monatelange Therapiemarathon. Als Krebspatient soll man Stress vermeiden und Anstrengungen weitestgehende vermeiden. Stattdessen weitet sich schleichend der Sorgenteppich aus! das ganze Leben scheint aus den Fugen geraten. Und über allem steht die Frage: Wie geht es nun weiter? Damit bestimmen die Gedanken, wie man die nächsten Tage, Monate oder Jahre seelisch, körperlich oder finanziell überstehen soll, von nun an den Alltag.

Viele Erkrankte müssen zu einem neuen Zusammenspiel von Körper und Seele finden, sich die Zeit für eine Therapie zugestehen und sie als Ausnahmesituation akzeptieren und begreifen.



Aber zurück zu kommen auf die Eingangsfrage „Diagnose Krebs und Jetzt?“ gibt es für mich nur eine Antwort: LEBEN! im Blockbuster „Club der toten Dichter“ von 1989 eröffnen rebellierende Jungs ihren literarischen Club mit den bewegenden Worten von Henry David Thoreau (1817–1862)


„Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte.

Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen!

Und alles fortwerfen, das kein Leben barg, um nicht an meinem Todestag

Innezuwerden, daß ich nie gelebt hatte.“

Walden; or, Life in the Woods, 9. August 1854


Leben heißt mit den 5 Sinnen (sehen, fühlen, hören, schmecken und riechen) aktiv durch den Tag zu gehen. Das Leben wird nicht bestimmt von festgelegten Abläufen und Routinen, klaren Lebenszeitpunkte (z.B. Studium bis 25, Heiraten bis 30, Kinder bis 35, …) und perfekten Lebensläufen, ewige Jugendlichkeit und makellosen Körpern. Keiner muss bestimmte Stationen seines Lebens erreichen, nur um Erwartungen Dritter zu entsprechen und zu gefallen (Selfie-Inszenierungen). Manchmal solltest du einfach den Sprung ins Ungewisse wagen und ein überwindbares Risiko eingehen.


Erfülle dir einen scheinbar unmöglichen Traum, z.B. Durchquere eine Wüste, begib Dich auf eine Pilgerreise, oder kündige endlich deinen langweiligen nicht erfüllenden Job. Verlasse die Scheinwelt des virtuellen Raumes (Instagram, TikTok). Was hält Dich zurück? das Leben ist ein Abenteuer und kein Schutzraum des geregelten Alltagstrotts. Es sollte Dich regelmäßig auf unbekanntes Terrain führen und dein inneres Kind wecken. Leben heißt Lernen! Ein kleines Beispiel: wer immer an die gleichen Orte zum Urlaub fährt, dessen geistiger Horizont erfährt schnell Routinen ohne Herausforderungen („Verarmung“) und verliert den Blick für das Schöne, das facettenreiche einzigartige Leben das einem umgibt.


Leben heißt Lieben! es ist kein gefühlter Kitsch. Die Liebe übersteigt das Fühlen und Spüren und entspricht einer ethischen Grundhaltung. Sie eint uns, verbindet und trennt, schafft Erkenntnis und gibt Raum für Vernunft. Die Feinde der Liebe sind Dummheit, Irrtümer und verhängnisvolle Vorurteile. Der Sinn des Lebens besteht vielleicht nur in der Erfahrung der Liebe und der Erkenntnis, dass Macht, Streben nach Anerkennung und Bestätigung und Besitz (Konsum) nichts mit Liebe zu tun hat. Zu lieben bedeutet zu leben. Und zu leben bedeutet zu lieben. Liebe gibt meinem Leben einen tieferen Sinn. Liebe impliziert das Geben und Nehmen. Einem vertrauten Menschen all seine Sorgen abzunehmen und zugleich sich wünschen, alle Freuden des Lebens mit ihm zu teilen. Wir bleiben nicht alleine mit unseren Einsichten und Stimmungen, Erfolge und Misserfolge, Traurigkeit und Enttäuschung.


Wer wirklich leben will, darf sich nicht von anderen verbiegen („Du musst“, „Du sollst“) oder von Schranken begrenzen lassen. Das gilt auch für die Partnerschaft. Wer sich seinem Partner unterwirft, sich anpasst und seine eigene Identität und Wünsche aufgibt, der lebt nicht sondern existiert nur. Du bist dein Leben. Deine Entscheidungen triffst Du und nicht andere. Dein Lebensweg gestaltest und beschreitest Du und nicht Dritte. Übrigens das ist die Freiheit, die wir als Gesellschaft hart erkämpft haben (Verweis auf Art 2 GG: Die Freiheit der Person ist unverletzlich).


„Oh ich, oh Leben! auf alle diese

wiederkehrenden Fragen,

Auf diesen unendlichen Zug der Ungläubigen,

auf die Städte, die voller Narren sind,

Was habe ich darauf für eine Antwort –

oh ich, oh Leben?

Dies aber ist die Antwort:

Du bist hier, damit das Leben blüht

und die Persönlichkeit,

Damit das mächtige Spiel weitergeht

und du deinen Vers dazu beitragen kannst.“

Walt Whitman (1819–1892), Grashalme


An alle Krebskranken: „never give up“!


Euer

Christian

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