10.10.2022 siebenundvierzigster Blog Eintrag – Uhrzeit MESZ 10:26 Uhr
Hallo zusammen,
wer hat noch keine Postings im Internet gelesen, die emotional verletzen, Wut und Hass Ausdruck verleihen. Die Grenzen einer wertschätzenden Kommunikation werden in Messenger Diensten, Foren, Blogs oder in sozialen Netzwerken immer wieder durch unterschiedliche Formen verletzenden Online-Verhaltens und verbaler Gewalt überschritten. Fakt ist, diese Form der Auseinandersetzung würde sich in einer direkten Kommunikationssituation eher nicht ergeben.
„Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken.“
Samuel Johnson (1709-1784)
Die Anonymität im Netz ist eine Schutzbarriere, die erst das Ausleben von Hass und Zorn in offener Form ermöglicht. Bestärkt von der Masse der Gleichdenkenden ist das Hochschaukeln der Intoleranz und der gefühlten Überlegenheit ein leichtes Spiel. Der Schutz einer vermeintlichen Gruppe ist der entscheidende Faktor. Wer in der „Offline“-Welt wenig Aufmerksamkeit bekommt, in der Arbeitswelt täglich nach oben „buckelt“ und keine Anerkennung erhält, sich sozial abgehängt fühlt, der sucht sich die Schwachen als Ventil aufgestauter Emotionen. Die Wahl der Opfer so einfach und gnadenlos: hilflose, schwache, labile, andersartige Menschen, Außenseiter. Der impulsive, selbstbelohnende Hass des Verfassers, das Gegenteil der Liebe, verabscheut nicht nur das Opfer, sondern möchte ihm auch bewusst schaden. Wie ein Faustschlag in das Gesicht des Opfers eine Blutspur und blaue Flecken hinterlässt, so ist der Hasskommentar, sichtbar für ein Millionenpublikum, eine seelische Qual für den Betroffenen und beschädigen dessen Selbstwertgefühl.
Der Täter wähnt sich in Sicherheit. Eine Reaktion des Opfers ist in den seltensten Fällen nicht zu erwarten. Schnell sind beleidigende Worte getippt und gepostet. Mit den Folgen muss sich der Urheber meist nicht auseinandersetzen. Online wird das Gegenüber weniger als Mensch denn als Objekt wahrgenommen, was Empathie schwinden und Hürden, die es im realen Leben zu überwinden gegeben hätte, fallen lässt.
Liebe Leser für die korrekte Abgrenzung der Begrifflichkeiten verweise ich auf 2 ergänzende mediale Bezeichnungen: „Hate Speech“ ist die abwertende Form der Sprache und das Verurteilen anderer Menschen. „Cybermobbing“ bezeichnet laut einer Definition des Bundesfamilienministeriums die "Beleidigung, Bedrohung, Bloßstellung oder Belästigung von Einzelpersonen mithilfe von Kommunikationsmedien".
Reale Kommunikationsbeispiele aus meinem palliativen Krebsnetzwerk zeigen die Abscheulichkeit verletzender Kommunikation, oftmals unterschwellig:
„Was ist, wenn ich dann zeugungsunfähig bleibe?“ „Wir können froh sein nicht noch sowas auf der Welt zu haben.“
„Krebs ist natürliche Auslese und du hast Pech gehabt.“
„Muss Dir was mal sagen. Geht mich nichts an, aber ich finde Du bist zu dünn. Nimmst Du noch weiter ab? … wünsche Dir einen schönen Tag und ein bisschen mehr Essen. Danke.“
„Du bist viel zu fit für Krebs, warum gehst Du nicht arbeiten?“
„Nicht arbeiten, aber ins Fußballstadium gehen. Wer krank ist gehört ins Bett.“
„Dann kommst Du jetzt ja entspannt an Gras ran.“
„Du nutzt das Sozialsystem als Schmarotzer aus.“
„Instagram nutzen geht… aber arbeiten ist wohl zu schwer?“
„Sorry wenn man solche abgemagerten und freizügigen Bilder öffentlich postet und nur Gemüse und Obst isst und intensiven Sport betreibt muss man mit solchen Kommentaren rechnen. Das ist nicht übergriffig sondern Meinungsfreiheit.“
„Aufklären über Krebs können nur die Ärzte. Aber bestimmt keine Krebsblogger, die sich vor allem selbst darstellen wollen.“
…
Fakt ist: es existieren Grenzen der Meinungsfreiheit! Bei Überschreitung dieser Grenze kann Hassrede strafrechtlich verfolgt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann Hate Speech sogar zur Straftat werden. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtlichen Grenzen der im Grundgesetz verankerten freien Meinungsäußerung überschritten werden. Das Strafgesetzbuch bietet dazu verschiedene Straftatbestände. Einige davon sind die folgenden:
Beleidigung (§ 185 StGB)
Üble Nachrede (§ 186 StGB)
Verleumdung (§ 187 StGB)
Aus meiner Wahrnehmung der eigenen Online-Aktivität wird von den Opfern von Hasskommentaren verlangt, sich ein „dickeres Fell“ zuzulegen, anstatt die Täter zur Rechenschaft und Verantwortung zu ziehen. Tatsächlich zeigen Umfragen (Bitcom, 2021), dass sich Opfer häufig aus den sozialen Netzwerken zurückziehen oder sich zumindest dort nicht mehr zu Wort melden.
„Böse Zungen tun dreifach weh: dem, der spricht, dem, über den gesprochen wird,
und dem, der zuhört.“
Jüdisches Sprichwort
Als Reaktion auf Hasskommentare empfehle ich:
Blockieren, Ignorieren: einfache Methode mit dem Nachteil dem Verfasser das Gefühl zu geben er hat Recht. Die Hasskommentare werden somit akzeptiert. Eventuell vor dem Blockieren Screenshots anfertigen, falls später doch rechtliche Schritte nötig werden.
Löschen und aktives Moderieren: auf dem eigenen Account oder in selbstmoderierten Social-Media-Gruppen ist es unumgänglich, inakzeptable Inhalte selbst zu löschen. Vor dem Löschen sollten die anderen Nutzer über die zu löschenden Inhalte informiert, und die Gründe für die Löschung erklärt werden.
Melden: Fast alle sozialen Medien, Foren etc. bieten mittlerweile eine Meldefunktion. Gemeldet sollten Verstöße gegen Community-Standards und jede Form von Hate-Speech.
Die Kunst der Gegenrede: das Dagegenhalten (Sophisten) erfordert Mut, Courage, Souveränität, Coolness, Humor mit dem Ziel Hasskommentare nicht salonfähig werden zu lassen. Fruchtlose Eskalationen ist zu vermeiden. Deeskalation, Nächstenliebe.
Professionelle Hilfe suchen: abhängig von der „Schwere“ der Hate-Speech ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts, der Polizei, aber auch Beratungsstellen und psychologische Unterstützung notwendig (https://www.zivile-helden.de/kontakt-beratung-fuer-zivile-helden/beratungsstellen-hass-im-netz/ ).
An alle Krebsler: „never give up“!
Euer
Christian
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