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AutorenbildChristian Nübling

Abschied von der Fremdbestimmung

22.02.2022 vierunddreißigster Blog Eintrag – Uhrzeit MEWZ 13:56 Uhr


Hallo zusammen,


Wahrheiten sind nicht immer leicht zu ertragen und können seelische und emotionale Dissonanzen hinterlassen. So auch in der Frage wieviel mein Leben selbst oder fremdbestimmt ist. Liebe Leser wir tun selten etwas, nur weil wir es wollen! Im Alltag wirken bewusst oder unbewusst Kräfte auf uns ein, die nicht mit uns im Einklang stehen. Während der selbstbestimmte Mensch mit dem übereinstimmt, was ihn selbst ausmacht, stimmt der fremdbestimmte Mensch mit etwas überein, was sein Wesen verfehlt. Das kann z.B. unmittelbare Bevormundung durch andere sein („Du sollst“, „Du musst“) oder ein Selbstbild, das das eigene Wesen verkennt („wer bin ich“, „was will ich“). Das Einnehmen einer gewünschten oder erwarteten Rolle ist ebenso eine Art der Fremdbestimmung und tritt häufig im beruflichen Umfeld auf. Je höher ich in der Karriere aufstieg, desto eindringlicher wurde mir eine Rolle aufgezwungen, in der ich mich nicht wohl gefühlt habe.


Wikipedia führt dazu aus: „so, wie die Selbstbestimmung als Autonomie (griechisch autos [αυτος] = selbst) bezeichnet wird, wird Fremdbestimmung auch Heteronomie (griechisch heteros [ετερος] = der Andere und nomos [νομος] = Gesetz) genannt. Der fremdbestimmte Mensch ist unter etwas anderes gesetzt. Er untersteht dem, was ihm selbst nicht entspricht.“ Schon sehr früh erfahren wir unter dem Einfluss von anderen unser Wesen anzupassen. Die Belohnung die wir durch die Anpassung erfahren ist Anerkennung und eine falsch verstandene Zugehörigkeit.


Kennen Sie das Gefühl, wenn die Eltern „alles besser wussten“? Wenn Sie sich daran erinnern können, dann fühlen Sie mit, wie es ist, wenn andere Menschen über Dich bestimmen. Fehlendes Lob und Anerkennung, Respekt und Wertschätzung lassen tiefe Spuren auf der gekränkten Seele und Psyche. Der Körper setzt sich einem permanenten inneren Stress aus … das seelische Gleichgewicht zerbröckelt, Frust und Wut belasten die Gedanken, die Gesundheit erfährt Schädigungen.


Abraham Maslow (1908-1970) bekannt durch sein sozialpsychologisches Modell der Bedürfnispyramide, „der seine Psychologie auf der Beobachtung von gesunden statt wie Freud von kranken Seelen gegründet hatte, konstatierte als die überwiegende Ursache unglücklichen Daseins eine seelische Schädigung im Heranwachsen. Jedes Kind ist ein Wunderkind, und damit es verdorbene Kinder gibt, müssen sie erst verdorben werden.“ (Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/frag-nicht-was-andere-aus-dir-machen-frag-danach-was-du-aus-dem-machst-was-andere-aus-dir-machen-ld.1412125) Harter Tobak, der allerdings sehr einseitig den negativen Einfluss der Fremdbestimmung beschreibt. Mir gefällt eher die Herangehensweise aus der Hirnforschung.


Der innere Grundkonflikt besteht „im Ringen zweier Bedürfnisse um Vorherrschaft“:

  • dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit führt zur Anpassung und Unterdrückung des eigenen Wesens, und

  • dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, freier Entfaltung mit all den Makeln und Unvollkommenheiten

Der Einfluss fremdbestimmter Kräfte beeinflusst dynamisch diesen Zwiespalt:

  • Exogene Faktoren laufen dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung unmittelbar zuwider.

  • Sie untergraben den Weg zu echter Zugehörigkeit, weil man sich im außenorientierten Theaterspiel verfängt.

Bei Psychologen ist die Tatsache unumstritten, dass Fremdbestimmtheit eine wesentliche Quelle seelischen Leids ist.

  • Druck von außen mit den Mitteln der Bevormundung, Drohung, Erpressung, Manipulation und Verführung

  • Druck von innen: unreflektierte Verhaltensregeln, die ins Selbstbild übernommen wurden und vermeintlich umzusetzen sind (= Erziehungsbotschaften: z.B. „ein gutes Kind widerspricht nicht“). Meist sind solche Botschaften gut gemeint und werden ungeprüft kopiert und ausgeführt.


„Freiheit ist jene kleine Bewegung, die aus einem völlig gesellschaftlich

bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht in allem das darstellt,

was von seinem Bedingtsein herrührt.“

Jean-Paul Sartre (1905-1980)



Seit meiner erschütternden Krebsdiagnose schlage ich den Pfad der Selbstbestimmung ein, den ich vor Jahrzehnten still und unbemerkt verlassen habe. Routinen und der Fokus auf die berufliche Entwicklung, wenig Zeit für Innehalten und Reflektion hinterließen Spuren. Es ist eine permanente Übung, ohne Sicherungsseil und immer wieder eine Herausforderung nicht in alte Muster bequem zu verfallen.


Echte Selbstbestimmung kann meiner Meinung nur erreicht werden, wenn Sie lieber Leser Ihr Wesen erkennen. Erst wenn wir entdecken, wer wir in Wahrheit sind, setzen wir der Fremdbestimmung Grenzen. „Erkenne dich selbst“ ist mehr als nur ein historischer Ausspruch Heraklits und bedarf keiner tiefenpsychologischen Analysen. Selbstbestimmung beginnt mit der Beantwortung auf die Frage „was will ich?“


Ein praktisches Beispiel für die Selbstbestimmung für uns „Krebsler“ ist die Patientenverfügung. Sie dokumentiert unseren Willen und verlängert unser Selbstbestimmungsrecht über den Zeitpunkt hinaus, an dem wir zu eigenverantwortlichen Entscheidungen nicht mehr in der Lage sind. Sie verkörpert die Hoffnung, Leiden zu mindern und in Würde zu sterben.


Ein weiteres Beispiel ist das gesunde Setzen von Grenzen: sagen Sie NEIN!? Ohne Rechtfertigung? Everybody`s Darling ist in der Realität nicht schaffbar, und Harmonie durch Ausweichen von Konflikten zu pflegen führt ebenso zur Fremdbestimmung. Es ist nicht nur Ihr Recht, Ihre eigenen Bedürfnisse zu schützen, sondern Ihre urständige Aufgabe, und das gerade mit einer chronischen Erkrankung.


An alle Krebsler: „never give up“!


Euer

Christian

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